Papa, Mama und der Sohn essen zu Abend. Für Außenstehende wirkt alles ganz normal. Nur Papa wirkt irgendwie genervt.
Ihn stört, wie der Käse riecht, den Mama isst.
Ihn stört, wie sein Sohn mit dem Messer über den Teller schabt.
Ihn stört, dass sein Brotaufstrich heute ein klein wenig anders schmeckt.
Man könnte jetzt sagen er solle sich nicht so anstellen. Immerhin macht er mit seinem Benehmen das Abendessen für alle drei nicht gerade zum angenehmen Beisammensein.
In vielen Fällen wäre das auch eine sinnvolle Reaktion. Hier braucht man aber noch ein paar mehr Hintergrund-Infos.
Der Vater stellt sich nämlich keineswegs an. Vielmehr kommen hier mehrere Dinge zusammen.
Zum einen ist er hochsensitiv. Das heißt, dass er Sinneseindrücke anders wahrnimmt. Oft viel intensiver. Wenn also sein Stresslevel eh schon hoch liegt, sind plötzliche Geräusche oder starke Gerüche schnell zu viel für ihn.
Zum anderen ist er krank. Seit einer Weile leidet er unter einer Depression. Das hat er sich nicht ausgesucht und hätte auch gerne darauf verzichtet. Aber wie bei den meisten anderen Krankheiten auch, hat man selten die Wahl.
Über den Tag hinweg kann er es ganz gut verbergen. Viele seine Arbeitskollegen würden sagen, dass er eigentlich immer sehr fröhlich wirkt. Diese Maskerade über mehrere Stunden aufrecht zu erhalten ist sehr kräfteraubend. Dazu kommt noch die, durch die Depression, eh schon geringe Stresstoleranz. All das führ dazu, dass sein Akku am Abend so dermaßen leer ist, dass er keine Energie aufbringen kann auch noch die intensiven Sinneseindrücke beim Abendbrot zu verarbeiten.
Meistens äußert sich seine Erschöpfung darin, dass er sich über das Verhalten seiner Frau oder seines Sohnes beschwert, selbst laut wird oder sich zurückzieht.
Andere Möglichkeiten sieht er nicht. Auch wenn es auch ihm jeden Abend unangenehm ist.
Besonders schlimm wird es aber, wenn der Sohn Mama fragt, warum Papa sich so verhält und sie ihm erklärt, dass Papa die Dinge anders wahrnimmt und dass Papa krank ist. Der Sohn versteht es meist. Aber Papa bringt es ins Grübeln.
„Das war nie, was ich wollte.
Mein Sohn sollte nie verstehen müssen, warum ich so bin, wie ich bin.
Er sollte sich keine Gedanken über seinen Vater machen müssen.
Was mache ich bloß falsch?“
Diese Unzufriedenheit kam bei ihm verstärkt mit der aufkommenden Depression. Natürlich ist so ein Alltag nicht schön. Es wäre aber so wichtig für ihn zu erkennen, dass er kein schlechter Mensch, sondern einfach nur krank ist. Und für seine Krankheit trägt er nicht die Schuld!